Balladen
Stiefels Tier-Balladen etc.
Die Balladen sind teilweise als Lieder geschrieben und wurden mit Musikbegleitung auf die Kleinkunstbühne gebracht.
Drehspielmann
Ein Mensch drehorgelt an dem Meere
und staunt ins Blau hinaus.
Der Drorgler hält nicht aus die Leere
und baut ein Mauerhaus.
Die Wellen gehn und kommen
und gurgeln aus das Haus.
So bleibt dem Drergler unbenommen
die Sicht ins Licht hinaus.
Ein Orgeldrehmensch dreht am Meere
die Drorgel ist sein Haus,
und er drogorgelt in die Leere,
die echorgelt hinaus.
Die Wellen gehn und gurgeln,
die Nacht kommt, das Licht geht,
drum muss an seiner Kurbel kurgeln
der Korgler, der die Gurgel dreht.
Ein Wehmenschdreher an dem Meere
verkorgelt sich ins Nichts hinaus,
und wenn er jetzt bestorgen wäre,
wär' das Krehgorl-Programm schon aus.
Die Wellen. Und so weiter.
Der Spielmann dreht und dreht
und denkt, es sei gescheiter,
wenn er die Korgel weiter
durchs Nachtmeernichts, das gorgelt,
wenn er, bis es dann morgelt
als Drehvorspielmann heiter
die Gorgel, bis das Spiel vergeht,
zum Beispiel trotzdem weiterdreht.
Kleine Oster-Ballade
Sie war ein Waisen- und Flüchtlingskind
im fremden Land
und musste ein zerrüttetes Leben beginnen.
Nahmen Schmerz und Sehnsucht überhand.
Und sie war wie von Sinnen.
Der Hase ist das Tier,
das reglos und geduckt in seiner Sasse
scheinbar schläft -
doch wenn Gefahr droht
gegen die eigene Angst und Not
quer durch die Felder seine Hasen schlägt.
Und wie sie sich vermehren diese Hasen
und immer wieder auferstehen
diese Osterhasen
voll Sanftmut, Liebe und voll Zärtlichkeit.
Und sie erinnert sich an glücklich ferne Zeit,
wo auf den Feldern ihrer Heimat
in der Dämmerung
das Hasenfest begann mit schönen Zibben
und mit Rammler-Trommelsprung.
Die Flüchtlingsfrau beginnt zu malen.
Sie malt auf grosser Leinwand
ein geräumiges Haus
mit nächtlich erleuchteten Fenstern
und mit hinter offenen Fenstern
liebenswürdigen Hasengespenstern
mit ihren aufgestellten Ohren
und den fröhlichen Hasenscharten
lugen sie hinaus mit glänzenden Augen
zu uns in den dunklen Garten.
Und wie sie sich in unsere Seelen saugen.
Die Malerin wird berühmt.
Alle Welt will Hasenbilder
und sehnt sich nach Hasenhäusern.
Die Malerin malt und malt
und verschenkt alles an die Welt
als Dank für die Welt.
Kommt da ein Mann und liebt die Frau
wieder und wieder
und macht Hasenhäuser-Bilderlieder.
Es ist doch einfach zum Jubeln.
Aber es kommt Krieg,
es kommt Gräni und Verheer.
Ein Herr Putin ist unterwegs.
Die Frau verzweifelt am schnöden Gang
der Welt und dem unermesslichen Weltweh
seit je.
Sie sinkt auf ihr letztes Hasenbild und stirbt.
Aber das kann nicht sein, sagt ihr Mann,
dass sie tot ist und ich vor Heulen vergehe.
Und er nimmt ihren Pinsel, skizziert und malt
und malt weiter und weiter für die Welt.
Es ist doch einfach zum Jubeln.
Rentner-Kuh
Othmar, im frischen Rentneralter,
wünscht, dass er sei ein Milchkuhhalter.
Er war bisher ein Angestellter
und kauft sich jetzt zwei Milchbehälter,
damit er morgens in der Ruhe
und abends die Kuh melken tue.
Kein Mensch ist sicher, wann er stirbt,
drum vorher auf dem Land erwirbt
Herr Othmar und bezahlt es bar
ein braunes Rindviehexemplar,
und dieses hilft dem Mann mit seinen grossen
Hörnern den Opel-Kadett heimwärts stossen,
das Euter schwankt bei jedem Schritt,
der Othmar denkt an den Profit.
Doch als er molk die Kuh zu Haus,
kam gar nichts aus der Kuh heraus.
Weil auch durch sie gegangen hin
viel Zeit, war sie jetzt Rentnerin.
Der Mensch will stets Ertrag und Handlung,
doch dann, im Alter, glückt die Wandlung.
Beim Rentner Othmar war es so,
dass er die Kuh, sie hiess "Lilo"
und war bereits sehr schwach gebaut
aus schiefen Knochen und viel Haut,
dass diese Kuh er, dann und wann
verlegend streichelnd, liebgewann.
Und weil nie eine Kuh was will,
stand stundenlang er bei ihr still
und sprach zur Kuh dem Sinn nach das:
"Du gibst nicht Milch, du frisst bloss Gras,
du, Kuh, und ich, wir sind schon älter
und brauchen keine Milchbehälter,
die stehen da, wir stehn daneben,
so geht's im Leben manchmal eben,
dass nur Gott weiss, wofür wir taugen."
Die Kuh hört zu mit grossen Augen.
Er legt sich hinterm Brombeerstrauch
der Lilo an den warmen Bauch
und spürt, wie er so liegt im Gras:
Die Kuh und mich macht glücklich das.
Sie ruhn zu zweit am Horizont
auf einem Hügel, der besonnt
von einer Spätherbstabendglut,
Herr Othmar flüstert: Es ist gut",
und weil ihn sanft das Kuhmaul streift,
denkt er, dass Lilo das begreift,
und bleibt so bis ins spätre Alter
mit seiner Kuh ein Rindvielhalter.
Stierkampf
Jetzt beginnen wieder
die Stierkämpfe
im spanischen Lande.
Es ist eine Menschenschande.
Und haltet die Kinder fern
von dieser Niedertracht.
Die hat der Teufel gemacht.
Sie blickt zum Torero unverwandt,
man hat ihr die Hörner abgebrannt,
nicht nur im spanischen Land,
und ist die Mutterkuh genannt.
Sie steht und mit ihr tausend Kühe
in der Arena-Stierblutbrühe
und brüllt zum Folterknecht:
"Was habt ihr Menschenpack gemacht
mit meinem schönen starken Sohn?
Ihr Flegel bringt dem Leben Hohn.
Wir geben keine Milch mehr her,
für euch bleibt unser Euter leer.
Habt endlich Mitleid-Mut!
Weil sonst verdurstet eure Brut."
Frau Grieder
In Boldingen wohnt Frau Grieder,
und sie setzt sich auf den Hut,
welcher rot ist, schief und nieder,
weil Frau Grieder ausgehn tut.
Und sie trippelt durch die Gassen
unter ihrem roten Hut,
eil sie's nicht kann bleiben lassen,
dass sie etwas Schräges tut.
Die Frau Grieder, sie kaut Zwieback,
sie kaut Zwieback und Knoblauch,
und sie baut sich auf ihr Biwak
auf dem Friedhof hinterm Strauch.
In Boldingen ist verboten,
ass man sich ein Biwak baut
mitten in Boldingens Toten
im Vergiss-mein-giess-mich-Kraut.
Doch Frau Grieder, doch Frau Grieder
hockt im Friedhof, hockt im Klee,
für die Toten singt sie Lieder
und kocht schwarzen Rotklee-Tee.
Und Frau Grieder, klein und Bieder,
singt und lacht vor dem Biwak,
und die Toten kommen wieder
aus dem Grab mit Sack und Pack.
Da kommt Müller, da kommt Meier,
da kommt Ehrenbürger Schmitz,
der ertränkte sich im Weiher,
er besass zu viel Besitz.
Da kommt Friederich der Grosse,
es kommt Nikolaus der Zar,
da kommt Lenin der Genosse,
der auch ein Boldinger war.
Bismarck singt ein Miserere
und Goeb-oebbels macht Geschrei,
und sie schleppen viel Gewehre
und viel To-ote herbei.
In Boldingen, in Boldingen,
kommt die Kriegsgeschicht' ans Licht,
und Frau Grieder knüpft die Schlingen
für das Jüngste Weltgericht.
Und sie schlottern, zappeln, tanzen,
Wallenstein und Dschingis Chan,
und es tanzen auch die Wanzen
im Veston vom Stierkampfmann.
Und sie tanzen durch Boldingen,
Putin und der Tier-Barbar,
und Frau Grieder knüpft die Schlingen
für die ganze Zappelschar.
Auf dem Friedhof vor dem Biwak
mit dem kleinen roten Hut
hockt Frau Grieder und kaut Zwieback
und da ist viel Mensch-Tier-Blut.
Hundert Herren lautlos zappeln
vor dem schwarzen Friedhofstrauch,
durch die Nacht fächeln die Pappeln
und Frau Grieder kaut Knoblauch.
Durch Boldingen hundert Lieder
unterm kleinen roten Hut,
hundert Lieder singt Frau Grieder
für die Hoffnung und den Mut.
Hier erscheinen laufend neue Balladen